Drogenkonsum findet immer öfter im Privaten statt – Erster Teil der BBV-Serie zur örtlichen Drogenszene

BBV, Barbara-Ellen Jeschke vom 07.12.2022
Wir danken dem BBV und Sven Betz, dass wir den Bericht und Foto hier übernehmen dürfen.

Auftakt zur dreiteiligen BBV-Serie zur örtlichen Drogenszene

Bocholt – Junkies trifft man auf dem Bahnhof und sie spritzen sich Heroin. Junkies sind abhängig von harten Drogen wie Kokain und „hängen zusammen ab“. Junkies sind nicht in der Lage zu arbeiten und arm – so lauten eine Reihe von Vorurteilen gegenüber der Drogenszene.

Michael-Helten Diplom-Sozialarbeiter und Suchttherapeut Foto: Sven Betz

Michael Helten, Diplom Sozialarbeiter und Suchttherapeut beim Sozialdienst katholischer Männer, berät seit über 30 Jahren Menschen, die ein Drogenproblem haben. Dabei ist die Klientel breit gefächert. Alle sozialen Schichten und alle Altersgruppen sind vertreten. Foto: Sven Betz

Michael Helten, Diplom Sozialarbeiter und Suchttherapeut beim Sozialdienst katholischer Männer, berät seit über 30 Jahren Menschen, die ein Drogenproblem haben. Dabei ist die Klientel breit gefächert. Alle sozialen Schichten und alle Altersgruppen sind vertreten.
Doch dass diese (mittlerweile) ganz anders aussieht, weiß Michael Helten, Diplom-Sozialarbeiter und Suchttherapeut beim Sozialdienst katholischer Männer (SKM).

Es gebe keine Szene, die sich draußen trifft. „Drogenkonsum privatisiert sich“, sagt Helten. Die Klientel, welche bei der Drogenberatung etwa Unterstützung in Therapievermittlung findet, sei völlig breit gefächert. Drogenkonsum sei in allen sozialen Schichten und jeder Altersgruppe verbreitet. Die größte Gruppe stellen jedoch mit 22 Prozent die 28 bis 35-Jährigen.

Pro Jahr berät die Drogenberatung des SKM 530 Menschen. 85 Prozent von ihnen konsumieren Drogen, 15 Prozent sind Familienangehörige von Abhängigen, die Hilfe suchen. Viele von ihnen kämen zunächst nur einmal und dann nicht selten Jahre später wieder. Pro Klient hat die Beratungsstelle sonst 13 bis 20 Kontakte. Die 80 Substituierten begleitet die Beratungsstelle längerfristig. Das sind Personen, die an einer Abhängigkeit von Opioiden – meist Heroin – leiden und sich in einem Drogenersatzprogramm befinden.

„Generell stellen wir fest, dass sich die Drogenproblematik mit Konsummustern und Konsumenten und deren Milieus über die Jahre hinweg verändert hat“, sagt Helten. Die Hälfte, der Hilfesuchenden gebe an, von Cannabis abhängig zu sein. „Cannabis ist cool, aber unaufgeregt und macht sich in weiten Alltagsbereichen und Populationskreisen breit. Es scheint, als gehört es einfach dazu, ob als Alternative zum Alkohol oder als zusätzliches Wirkspektrum mit Alkohol. Natürlich auch zum ‚runterkommen‘ nach ausschweifendem Amphetamin- oder Kokainkonsum“, sagt Helten.

Amphetamine werden von etwa einem Drittel der Klienten als Hauptsubstanz angegeben. Sie werden von den Konsumenten zur Leistungssteigerung eingesetzt und finden „sowohl auf der Arbeit, als auch in der Freizeit mehr und mehr“ Platz.

Gerade jüngere Klienten konsumieren verstärkt Amphetamine, Crack, aber mittlerweile auch synthetische Opiate, beobachtet Helten. Die Gruppe der Opiatkonsumenten umfasste 2021 20 Prozent. Das sind überwiegend Menschen, die sich im Substitutionsprogramm befinden und dadurch mittlerweile eine höhere Lebensdauer erreichen.

In drei Teilen beleuchtet das BBV die Drogenszene und stellt in zwei weiteren Artikeln das Schicksal zweier Menschen vor, die in den Strudel der Sucht geraten sind.

Aus der Praxis der Suchthilfe, hier: das Phänomen der Ambivalenz

Helfer in der Suchtkrankenhilfe haben seit jeher mit dem Phänomen der Ambivalenz zu tun. Wie in kaum einem anderen Krankheitsbild muss von einem Suchtkranken die Entscheidung zu einer veränderten Lebensweise Tag für Tag neu erarbeitet werden. Mit Medikamenten kann man bestenfalls für etwas günstigere Voraussetzungen sorgen. Die täglich neue Umsetzung der Abstinenzentscheidung nimmt einem keiner ab.

Erfolge, aber auch Rückschläge, manchmal der Verzicht auf seit Jahren gelebte Beziehungen begleiten diesen für den Betroffenen notwendigen, oftmals zugleich schmerzlichen Prozess. Die Entscheidung wird von schnell wechselnden Stimmungen begleitet, einerseits z.B. von Glück und Zufriedenheit, andererseits manchmal schon kurz danach von Traurigkeit und Wut. All dies macht das Phänomen der Ambivalenz aus. Es geht eben nicht um die Einnahme von Medikamenten (und dann ist alles gut), sondern um das Verändern von oft seit Jahrzehnten eingeübten Gewohnheiten, Verhaltensweisen und Abhängigkeiten. Diese Aufgabe würde jeden fordern. Beim SKM haben wir es mit Menschen zu tun, denen die Erfahrung geglückter Veränderungsprozesse vielfach fehlt. Das Misstrauen gegenüber der eigenen Handlungsmacht ist bisweilen tief verankert.

Vielfach erfindet sich der Klient in der Beratung / Begleitung quasi neu, er erlebt sich neu und anders, gewinnt Selbstachtung und Selbstwirksamkeit. Aber immer wieder begegnen wir auch Menschen, die in der Ambivalenz gefangen bleiben, manchmal ein paar Schritte nach vorne gehen – um dann doch wieder in alte Muster zurückzufallen. Diese Menschen begleiten wir möglichst vorurteilsfrei und annehmend, ggf. über Jahre, unter Umständen lebenslang.

Der SKM fühlt sich dem Menschen verpflichtet. Dem, der sich zu einer abstinenten Lebensweise entscheidet, aber auch dem, der in der Sucht gefangen bleibt. Schon oft haben wir feststellen dürfen, dass gerade die vorbehaltlose Annahme des Klienten zu einem späteren Zeitpunkt Veränderungen ermöglichte, mit denen wir lange nicht mehr gerechnet hatten.


Urlaub von der Droge! – haben Sie Mut zur Veränderung

… d.h. Alkohol geht noch, nur Drogen sind hier Thema? Hängen Sie hinter „Droge“ noch Alkohol, Kiffen, Pillen dran; dann ist es vollständig – leider! So wie es da steht, ist der Titel doch einfach knackiger! 😊

Die Sucht versklavt den Menschen. Gegen den Katzenjammer wegen des Alkohols wird noch mehr getrunken. Wird nicht wirklich besser. Aufhören???? Never ever!!!! Lasst mich in Ruhe. Man hat null Vorstellung davon, wie es sich „ohne“ anfühlt. Die Idee ist oft, dass „ohne“ gruselig sein wird. Und das Ganze für den Rest des Lebens., also nix mehr Trinken. Ne danke!!!!

Als mir mein Krankengymnast die Tage einen Satz Übungen zeigte war mit klar: dass jetzt am besten täglich für den Rest des Lebens. Fühlt sich auch …. na ja an! Also raus aus der Ewigkeitsvariante – Sie brauchen sich noch nicht mal für die Lebensspanne eines normalen Handyakkus entscheiden.

Die Idee des Satzes „Urlaub von der Droge“ ist, dass Sie sich nur für JETZT entscheiden können. Erst mal ein verschüttetes Gefühl wieder erfahren können; also erleben, wieviel Power Sie haben, wenn Sie nichts konsumieren. Deshalb mal nicht das große Ganze anschauen (und dann nach dem Motto „wie schnell ist wieder nix passiert), sondern unkompliziert gedacht. Gönnen Sie sich eine Auszeit, und danach kann man immer noch weitersehen was sich verändert hat. Sie entscheiden eben nur mal für ein paar Tage. Machen Sie es nicht im kalten Entzug – das geht anders. Aber erlauben Sie sich einen Schritt nach dem anderen zu gehen.

Sag ich mir auch, und gehe ab auf die Matte!

Da geht doch was!!!!

Aus der Praxis der Drogenberatungsstelle; hier: psycho-soziale Begleitung Substituierter

Seit vielen Jahren bietet der SKM Bocholt die psycho-soziale Begleitung Substituierter als stützendes und notwendiges Angebot zur Stabilisierung schwer abhängiger Menschen an. Wir sind dabei notwendiger Teil des ärztlichen Substitutionsangebotes.

Der SKM orientiert sich dabei an den Bedürfnissen und an der Veränderungsbereitschaft jedes/r einzelnen Klient:in. Ein wichtiges und grundlegendes Ziel der PSB ist es, eine vertrauensvolle Beziehung aufzubauen, die als Basis weiterer Ziele wichtig und notwendig ist. Sozialarbeiterische Hilfe wie Unterstützung bei der Existenzsicherung, Begleitung zu Behörden, Schuldenregulierung etc. als auch reflektierende sozialtherapeutische Gespräche sind die Kernelemente der Psychosozialen Begleitung Substituierter.


Herr K. ist über 30 Jahre alt und hat bereits als Jugendlicher und Heranwachsender mit Drogen experimentiert. Durch Opioid haltige Schmerzmedikamente kam er später an Heroin und wurde abhängig. Durch eine Entzugsbehandlung gelang es ihm einige Jahre clean zu leben. Er begann eine betriebliche Ausbildung und konnte sich weiter stabilisieren.

Durch hohe Arbeitsbelastung und Sorgen vor der Gesellenprüfung wurde er mit Heroin rückfällig. Zunächst gelang es ihm Konsum und Alltag ohne Auffälligkeiten zu integrieren, was zunehmend schwieriger wurde. Die finanziellen, körperlichen und seelischen Folgen ließen sich bald nicht mehr verheimliche und er kam immer mehr an die Belastungsgrenze. Vor allem die Sorge um einen möglichen Verlust der Ausbildungsstelle bewegten ihn, sich in eine stationäre Entzugsbehandlung zu begeben, mit dem Ziel seine Abstinenzfähigkeit wiederzuerlangen. Herr K. konnte vollständig entgiften, fühlte sich aber physisch wie psychisch nicht ausreichend stabil und bewertete sich stark rückfallgefährdend. Er nahm Kontakt zur Drogenberatungsstelle auf und gemeinsam erörterten wir verschiedene Behandlungsoptionen. Aufgrund des bevorstehenden Ausbildungsabschlusses kam eine stationäre Langzeittherapie nicht in Frage und die Drogenberatungsstelle empfahl ihm eine ambulante Substitutionsbehandlung bei einem niedergelassenen Arzt. Herr K. stimmte dem zu und konnte direkt ins Substitutionsprogramm aufgenommen werden. Er war wieder arbeitsfähig und konnte seine Ausbildung ohne weitere Fehlzeiten wieder aufnehmen und sich auf die bevorstehende Gesellenprüfung vorbereiten. Die Psychosoziale Begleitung für Substituierter nutzte er für sich, um das Rückfallgeschehen aufzuarbeiten und sich insbesondere emotional zu stabilisieren. Des Weiteren erarbeitete er für sich ein Konzept zur Rückfallprävention.

Herr K. hat seine Ausbildung erfolgreich abgeschlossen und konnte mittlerweile Aufstiegsfortbildung beginnen. Die PSB nimmt er weiterhin regelmäßig in Anspruch insbesondere, um seinen Alltag zu reflektieren und bei Bedarf nutzt er die Beratung in Behördenangelegenheiten.