Suchtberatung für Teilnehmende an SGB II Maßnahmen U 25

Konsum als Risikoverhalten auf dem Weg zum ERwachsenwerden

In den nachstehenden Fallbeispielen (Namen geändert) werden zwei Klient:innen aus dem Projektalltag SGB II Maßnahmen U 25 dargestellt, die in kurzen Abschnitten einen sehr bewegenden Teil ihrer Lebensgeschichte und ihres Erlebens erzählen. Es handelt sich hierbei um junge psychisch instabile Menschen, deren familiäre Lebenssituation bereits früh aus den Fugen geraten ist, und deren seelische & kognitive Entwicklung durch massive Suchtmittelabhängigkeiten bereits in früher Jugend geschädigt wurde.

Sabine, 19 Jahre: „Seit ich mich zurückerinnern kann, hatte ich immer Stress mit meinen Eltern. Ich hatte schon in jungen Jahren ein sehr bewegtes Leben. Meine Eltern trennten sich, als ich 6 Jahre alt war. Mein Vater hatte nach der Trennung sehr früh eine neue Freundin, mit der er nur einige Wochen später nach Hannover zog. Sie kam aus Hannover und wollte nicht in der Nähe von Bocholt wohnen. Für meinen Vater war sie der neue Lebensmittelpunkt. Er verschwand einfach und ließ mich zurück.
Plötzlich wohnte mein Vater über 200 Kilometer von uns entfernt.
Schnell merkte ich, dass mein Vater andere Dinge im Sinn hatte, als sich um seine Tochter zu kümmern. Bestimmt war es ihm sogar peinlich mit mir zusammen irgendwo aufzuschlagen. Ich war schon als Kind sehr adipös. Mein Vater mochte keine dicken Menschen und hat mich das sehr oft spüren lassen.
Mit den Jahren wurde der Kontakt zu meinem Vater immer weniger. Ich fühlte mich nicht akzeptiert. Außerdem hat er die Freundin irgendwann geheiratet und mit ihr eine Tochter (meine Halbschwester) bekommen. Ich weiß nur, dass sie Lisa heißt. Gesehen habe ich sie noch nie. Der letzte Kontakt zu meinem Vater war vor 8 Jahren. Es tut noch immer weh, aber da muss ich durch.
Nachdem mein Vater weg war, lebte ich zusammen mit meiner Mutter in einer kleinen Wohnung. Wir haben uns täglich gestritten, weil meine Mutter nicht darauf klarkam, dass Papa weg war. Sie gab mir oft die Schuld für die Trennung, weil ich durch meine ADHS-Erkrankung extrem unruhig gewesen bin.
Ich bin Zeit meines Lebens wegen meines Übergewichts gemobbt worden. Die Schule war neben den Streitigkeiten mit meiner Mutter die größte Hölle für mich. Mit 11 Jahren habe ich dann mit den falschen Leuten rumgehangen und das Kiffen angefangen. Cannabis hat mich beruhigt. Ich konnte endlich runterkommen und das Übel des Alltags vergessen. Später mit 18 Jahren habe ich zusätzlich begonnen Amphetamine zu konsumieren, allerdings nur für einige Monate.
Mit 18 Jahren bin ich erstmals in eine Wohngruppe gezogen. Die Konflikte mit meiner Mutter waren einfach zu groß. Später habe ich die Wohngruppe verlassen und bin mit meinem Freund zusammengezogen. Dieser hat mich regelmäßig verprügelt und einmal sogar vergewaltigt, so dass ich ihn in einer Nacht- und Nebelaktion verlassen habe.
Nach einigen Wochen Obdachlosigkeit und massivem Drogenkonsum, durfte ich erneut in die Wohngruppe ziehen, aus der ich zuvor ausgezogen bin.
Aktuell konsumiere ich sehr selten Cannabis. In der Tagesklinik wurde mir mitgeteilt, dass ich an einer Borderline-Erkrankung leide. Ich versuche mein Leben neu zu ordnen und mit meiner Erkrankung umzugehen.


Markus 19 Jahre: Wenn ich mein Leben revuepassieren lasse, bin ich von Kindesbeinen auf mit der Droge Cannabis verbunden. Meine Eltern konsumieren Cannabis, seit ich denken kann. Ich kann mich erinnern, dass mein Vater Cannabis schon immer selbst angebaut und geraucht hat. Beide Elternteile konsumieren täglich 3 bis 5 Gramm.
Ich hatte immer das Gefühl, dass meine Eltern konsumieren, um ihr riesiges Streitpotential zu unterdrücken und Konflikten aus dem Weg zu gehen. Meine Eltern haben sich immer gestritten und ihre Probleme auf uns Kinder abgewälzt. Ohne den Konsum hätte es einen massiven Kontrollverlust mit verbalen und körperlichen Auseinandersetzungen gegeben. Sie wären heute längst getrennt.
Mit 15 Jahren habe ich erstmals selbst Cannabis konsumiert. Das Rauchen war mir nicht fremd, weil ich bereits seit meinem elften Lebensjahr Zigaretten rauche. Mein Vater hat mir Marihuana angeboten. Er hat immer gesagt, dass ich nur das „Familiendope“ aus gutem Eigenanbau rauchen solle. Ich habe den Rat meines Vaters befolgt, allerdings auch mit zunehmendem Alter den Respekt vor ihm verloren. Mir wurde mehr und mehr klar, dass meine Eltern Junkies sind und keinerlei erzieherische Kompetenzen besitzen.
Mein Leben ist immer anders bzw. schräg verlaufen. Obwohl ich zwar meinen Realschulabschluss gepackt habe, hatte ich immer Probleme mit meinen Mitmenschen. Ich hatte nie echte Freunde, und ich habe immer um meine Meinung kämpfen müssen. Es gab in der Vergangenheit eine „Bi-Phase“. Ich habe mich bisexuell ausgerichtet, und ich habe mich gerne als Frau verkleidet. Als Frau verkleide ich mich heute noch gerne, wegen meiner langen Haare. Für meine sexuelle Ausrichtung und meine Neigungen wurde ich in der Schule übelst gemobbt. Viel Rückendeckung durch mein Elternhaus hatte ich auch nicht zu erwarten.
Das Kiffen hat mir sehr früh geholfen meine Probleme zu verdrängen. „Konsum gegen Kopfkino“ war oft mein Motto. Berauscht konnte ich sowohl die familiären Stimmungsschwankungen und Auseinandersetzungen als auch die schulischen Mobbing-Eskalationen besser ertragen.
Mit der Zeit bin ich durch den Konsum, und durch das Ertragen meiner Lebenssituation emotional mehr und mehr abgestumpft. Ich besitze schon noch ein Gerechtigkeitsdenken, obgleich mich Extremsituationen wie Schlägereien, massive verbale Auseinandersetzungen, Videos mit sterbenden Menschen usw. größtenteils völlig kalt lassen.
Auch in der jetzigen Zeit habe ich kaum jemanden, der was mit mir macht. Ich bin im Rahmen der Bildungsmaßnahme auf Ausbildungssuche und ziehe mich sonst den restlichen Tag in mein Zimmer zurück und zocke Onlinespiele. Noch immer rauche ich 1-2 Gramm Cannabis pro Woche, obwohl ich damit gerne irgendwann aufhören möchte.