Eine Bocholterin und ihr langer Weg aus der Kokainabhängigkeit – Dritter Teil der BBV-Serie zur örtlichen Drogenszene

BBV, Barbara-Ellen Jeschke vom 10.01.2023
Wir danken dem BBV, dass wir den Bericht hier übernehmen dürfen.

Bocholt – Im dritten und letzten Teil der BBV-Serie über die Bocholter Drogenszene schildern wir das Schicksal einer Abhängigen. Als junges Mädchen begann sie zu kiffen. Cannabis ist eine Einstiegsdroge, sagt sie.

„Man sagt immer, Cannabis ist eine Einstiegsdroge“, sagt Jessy T. (Name von der Redaktion geändert) und lacht. Anschließend wird sie schnell sehr ruhig: „Genau das ist es.“ Schon früh kommt die junge Frau mit Drogen in Berührung. „In meiner Familie hat jeder ein Suchtproblem“, erklärt Jessy. Überhaupt habe heute sowieso jeder ein Suchtproblem, und wenn es Spielsucht sei, meint sie.

Zum ersten Mal kifft sie mit 13 Jahren auf dem Schulhof. Ihre Schwester hat die Droge mit nach Hause gebracht. Mit ihr zusammen kifft sie auch im Jugendzentrum. „Egal wo, egal was, überall ist es einfach, an Drogen zu kommen. Wenn man etwas will, bekommt man das“, sagt Jessy. Zu Hause leidet sie unter häuslicher Gewalt. Als die Familie umzieht, haut sie von dort ab und rutscht immer tiefer in den Drogensumpf und damit auch in die Kriminalität.

Clean nur für eine kurze Zeit

Jessy beginnt Kokain zu konsumieren und zu verkaufen. Dann wird sie von ihrem dealenden und gewalttätigen Freund schwanger – und schafft den Absprung. Macht sogar ihren Schulabschluss. Doch clean bleibt sie nur für die Zeit der Schwangerschaft. „Ich bin richtig abgestürzt“, sagt Jessy, die in der Mutterrolle völlig überfordert ist. Erneut ist ihr Leben geprägt von ihrer Kokainsucht und kriminellen Taten. Ihr Kind gibt sie zu ihrer Mutter. Sie selbst hat keinen festen Wohnsitz, kommt mal hier unter, mal da. Nach sieben Jahren als Kokain-Dealerin fliegt sie auf.

Beim Gerichtsprozess werden ihr zudem rund 40 Betrugsfälle nachgewiesen. Jessy muss für zwei Jahre ins Gefängnis und einen Entzug machen. „Ich war so froh, in Haft zu kommen“, sagt die junge Frau rückblickend. Doch ihre Hoffnung, dort den Absprung zu schaffen, sollte sich nicht erfüllen.

Heroin im Gefängnis kennengelernt

Im Gefängnis lernt sie andere Drogenabhängige kennen und kommt so auch in Kontakt zu Heroin und beginnt, das Opiat zu rauchen. Das Gefühl sei irre, sagt Jessy. Heroin wirkt entspannend, beruhigend und schmerzlösend. Gleichzeitig werden Konsumenten euphorisch und die geistige Aktivität wird gedämpft. Negative Gefühle wie Angst, Unlust, Leere, Probleme und Belastungen sind in der Zeit des Rausches ausgeblendet. Der wohlige Effekt, das Gefühl einfach glücklich und zufrieden zu sein, hält allerdings nur wenige Stunden an. Wenn die Wirkung vorbei ist, verlangt der Körper sofort nach mehr.

Jessy fliegt aus der Therapie. Aber sie gibt nicht auf. „Mein Ziel war: Ich bekomm‘ mein Leben in den Griff.“ Sie sucht sich Hilfe bei der Drogenberatung des SKM (Katholischer Verein für soziale Dienste) und vertraut sich dort Michael Helten an. Mithilfe des Sozialarbeiters und Suchttherapeuten findet sie einen neuen Therapieplatz und macht eine Entgiftung. Mittlerweile ist sie in ambulanter Therapie und bis auf einen Rückfall seit einiger Zeit clean. „Nachdem ich mich am Sterbebett von meiner Mutter verabschiedet habe, habe ich Cannabis geraucht“, sagt Jessy. Aber von dem einmaligen Rückfall will sie sich nicht aus der Bahn werfen lassen. Ihrem Ziel, ihr Leben in den Griff zu bekommen, sei sie schon sehr nahe, sagt sie.

Erste eigene Wohnung

Sie hat ihre erste eigene Wohnung mit kleinem Garten und einen „tollen ruhigen Partner.“ Lange hat Jessy auch dafür gekämpft, dass ihr Kind bei ihr leben kann. Für die Erziehung hat sie sich Unterstützung geholt, denn das Kind habe selbst traumatische Erfahrungen gesammelt. Die Sorge um ihr Kind ist ihr spürbar anzumerken. „Ich habe schon Achtjährige rauchen sehen und im Deutsch-Hip-Hop werden Drogen und Gewalt verharmlost“, sagt sie beunruhigt. Jessy sagt: „Meinem Kind gegenüber schäme ich mich für meine Vergangenheit.“

Praxisbeispiel Elternarbeit Drogenberatung

Das Ehepaar Q. nutzt seit einiger Zeit das Beratungsangebot der Beratungsstelle. Ihre 18jährige Tochter ist mehrfach belastet; neben dem Drogenkonsum besteht eine psychische Erkrankung. Die Tochter lebte daher in einer betreuten Wohnform für psychisch erkrankte Jugendliche. Aufgrund des steigenden Konsums hat die Tochter das Betreute Wohnen verlassen, ist nun wohnungslos und hält sich in der Drogenszene auf. Das Angebot der Eltern, zurück ins Elternhaus zu ziehen, hat die Tochter abgelehnt.
Trotz der schwierigen Umstände besteht ein regelmäßiger Austausch zwischen Tochter und Eltern, so dass diese deutlich die Belastungen des Drogenkonsums mitbekommen.

Das Ehepaar Q. sucht gemeinsam die Beratungsstelle auf und bittet um Beratung im Umgang mit ihrer Tochter, da der Lebensstil der Tochter sie emotional stark belastet. In der Beratung erhalten sie u.a. viel Hintergrund Wissen zum Thema Drogen und Abhängigkeit, um ein Verständnis für diese Thematik zu entwickeln. Des Weiteren nutzt das Ehepaar die Gespräche, um ihr Verhalten zu reflektieren und Regeln sowie Grenzen gegenüber der Tochter zu erörtern. Es ist ihnen wichtig, den Kontakt nicht zu verlieren, ohne den Konsum zu unterstützen. So wird die Tochter regelmäßig eingeladen, das Wochenende bei den Eltern zu verbringen, darf aber im Haushalt keine Drogen konsumieren oder wird nicht bei der Beschaffung durch Fahrten in den Coffeeshop unterstützt oder erhält hierzu auch keine finanzielle Gefälligkeit. Durch die liebevolle, aber konsequente bestimmende Haltung der Eltern kann die Tochter die Absprachen gut akzeptieren und es kommt kaum zu Konflikten.

Des Weiteren wird das Ehepaar durch uns an den Elternkreis angebunden und motiviert teilzunehmen. Durch den Austausch mit anderen betroffenen Eltern erfährt das Elternpaar Q. emotionale Entlastung und weiterführende Unterstützung im Umgang mit ihrem drogenkonsumierenden Kind. Ebenso lernen sie durch Beratung und Elternkreis ihre eigenen Bedürfnisse wieder wahrzunehmen.

„Ich wollte gar nicht aufhören“ – Das BBV hat mit einem Heroinabhängigen gesprochen. – Zweiter Teil der BBV-Serie zur örtlichen Drogenszene

BBV, Barbara-Ellen Jeschke vom 27.12.2022
Wir danken dem BBV, dass wir den Bericht hier übernehmen dürfen.

Bocholt – Mit 13 Jahren fängt er auf dem Schulhof an zu kiffen, um ältere Mitschüler zu beeindrucken, mit 14 Jahren hält er ein Kilogramm Marihuana in den Händen, bringt es über die Grenze und fängt auch an zu dealen.
Zwei Jahre später probiert er Ecstasy. Er nimmt LSD, testet Pilze, ist mehrere Tage auf Kokain wach. Dann kommt der Tag, an dem er das erste Mal Heroin nimmt. „So richtig war mir nicht bewusst, was ich da mache“, sagt Benjamin K. (*Name von der Redaktion geändert) über seinen ersten Kontakt mit Heroin.

Benjamin K. kommt aus einem guten Elternhaus, hat einen anerkannten Beruf, eine Freundin und er gerät dennoch in den schleichenden Strudel der Sucht.

Heroin habe er immer mit der Nadel verbunden, sagt Benjamin. Doch beim ersten Mal schnupft er es bei einem alten Schulfreund durch die Nase. Die Neugier habe ihn getrieben. Er beginnt es gemeinsam mit Kokain zu spritzen und zu rauchen, dann spritzt er es sich auch in die Arme. „Irgendwas passiert mit meinem Körper, habe ich gemerkt“, sagt er. Um seine Sucht zu finanzieren beginnt er auch mit größeren Mengen harter Drogen zu dealen, immer in der Angst, dass er oder seine Eltern, bei denen er wohnt, gewaltsam überfallen zu werden. „Vom Unternehmer bis zum Obdachlosen, sie alle kaufen Drogen.“ Trotz seiner Sucht geht Benjamin jeden Tag zur Arbeit. Auch wenn es immer schwieriger wird, seine Sucht geheimzuhalten, denn die Einstiche an den Armen muss er verstecken.

Dann kommt der Tag, an dem er seinen Führerschein verliert. Die Polizei erwischt ihn unter Einfluss und mit einem nicht geringen Anteil an Drogen. „Meine Mutter und mein Vater waren total am Ende“, erzählt Benjamin von dem Moment wo der polizeiliche Brief die Eltern erreicht. Zwei Jahre war er damals bereits heroinabhängig – weder seine Familie, noch seine Arbeitskollegen haben davon etwas bemerkt. Nicht einen Tag fehlte er auf der Arbeit, auch wenn er am Wochende ganze Nächte mit Dealen und eigenem Drogenkonsum durchmachte.

Weinend habe seine Mutter mit ihm in der Drogenberatungsstelle des Sozialdienst katholischer Männer gesessen. Benjamin nickte nur. „Ich habe einer Therapie nur zugestimmt, um meine Ruhe zu haben. Ich wollte gar nicht aufhören“, sagt er rückblickend.

Ständiges Übergeben und Schmerzen – 24 Stunden hält er den Entzug aus, dann greift er erneut zur harten Droge. Benjamin: „Die Sucht ist schon echt ekelhaft.“ Im Methadon-Programm tanzt der junge Mann seinem Arzt lange auf der Nase herum. Immer wieder erscheint er unter Drogeneinfluss in der Praxis, immer wieder gibt der Arzt ihm eine neue Chance. Zwei Jahre geht das so, dann hat ihm sein Arzt gesagt: „Das war´s.“ Benjamin wurde klar: „Wenn du jetzt hier rausfliegst, dann geht alles kaputt.“

„Es war schwer“, sagt er. Heute ist Benjamin seit vier Jahren clean. Er ist noch im Methadon-Programm, hat seinen Führerschein wieder und kümmert sich liebevoll um seinen Hund. Ohne den Rückhalt seiner Familie hätte er es nicht geschafft und auch sein Job hat ihm stets Struktur gegeben. „Ohne das, wäre ich jetzt tot oder im Knast“, ist er sich sicher.

Benjamin war ganz tief in die Drogenszene eingetaucht, erlebte wie ein Freund an einer Überdosis starb, erlebte Gewalt und Kriminalität. Bereut er die Zeit? Er nennt es eine „wilde Zeit“. Bereut er sie? „Es war mein Leben. Wer wäre ich heute?“, fragt er zurück.