Männergefühle – ein Schlaglicht aus dem Fachbereich Jungen, Männer und Gewaltberatung
Gerade in Krisen stellen viele Männer fest, dass ihnen der Zugang zu den eigenen Gefühlen, insbesondere zu den sog. „Negativgefühlen“ wie Ängsten, Hilflosigkeit, Versagensgefühle oder Trauer gänzlich fehlt oder „verloren“ gegangen ist. Es gelingt ihnen dann nur schwer, was in ihnen vorgeht, zu spüren, zu ertragen, geschweige denn in Worte zu fassen.
Nun fällt diese Unfähigkeit nicht vom Himmel, sondern kann am ehesten als jahrelanger Lernprozess verstanden werden. Im Laufe ihres Lebens kann sich der Zugang zu den eigenen Gefühlen deutlich verändern. Teilweise machen Jungen- und Männer die Erfahrung, dass die Wahrnehmung eigener Gefühle, nicht von deren Umfeld erwünscht ist und nicht zu internalisierten „Männerbildern“ passt. Der ängstliche, traurige und hilflose Mann wird zwar zunehmend toleriert, widerspricht dabei allerdings dem „Idealtypus Mann“ und wird vor allem seitens vieler Männer abgelehnt.
In diesem Zusammenhang ist leider auch der Krieg in der Ukraine zu erwähnen. Das alte traditionelle Männerbild, der starke Mann und Krieger steht im Vordergrund des öffentlichen Diskurses und wird von Vielen eingefordert. Scheinbar können „nur starke, mutige Männer, die zum Kämpfen bereit sind, ihr Land verteidigen und befreien.“ Für diese Aufgabe brauchen sie moderne „funktionale Waffen“. Diese direkten und indirekten Botschaften wirken unmittelbar auch auf unser Männerbild ein und können den Zugang zu den eigenen Gefühlen behindern, sie fördern einen Verdrängungs- und Verleugnungsprozess.
Die Wahrnehmung des eigenen Gefühls ist stets ein Hinweis auf unsere Wünsche und Bedürfnisse. Aber zu fühlen und zu wissen, was Mann möchte, ist aus Sicht der Mehrheitsmeinung nicht immer funktional und gewünscht.
Der „Funktionsmodus“ würde durch das Wahrnehmen der Gefühle gestört und die eigene Lebenssituation würde ggf. hinterfragt oder gänzlich in Frage gestellt. Dies stößt nicht immer auf Gegenliebe, – nicht jeder Mensch oder jede Gesellschaft freut sich darüber, werden doch zunächst scheinbare Gewissheiten zur Diskussion gestellt.
Im Ergebnis vermeidet oder verleugnet Mann das Wahrnehmen der Gefühle.
Es bedarf aber nicht der großen Fragen von Krieg und Frieden, um diesen Prozess anschaulich darzustellen, hierzu ein Beispiel aus unserer Arbeit: im Rahmen einer Suchtpräventionsmaßnahme für Auszubildende konnte ein Gruppenteilnehmer am Beispiel des Fühlens und Erlebens der eigenen Trauer beim Tod dreier Großeltern, jeweils im Abstand von ca. 5 Jahren, seine Entwicklung sehr anschaulich darstellen:
„Beim Tod meiner Großmutter war ich ca. 11 Jahre alt, nach der Beerdigung gingen meine Schwester und ich jeweils auf unser Zimmer. Nach kurzer Zeit kam Mutter dazu, holte uns nach unten, wir saßen am Küchentisch und besprachen, was wir alles mit Oma erlebt hatten. Es flossen viele Tränen, das Reden tat gut. Ich kann mich heute noch an die Szene und an das miteinander Trauern gut erinnern.
Beim Tod des ersten Großvaters war ich 16 Jahre alt, nach der Beerdigung gingen meine Schwester und ich wieder auf unser Zimmer. Dort weinte ich alleine, nach einiger Zeit war es gut und ich ging zu meinem Freund, wir spielten PlayStation.
Beim Tod des zweiten Großvaters war ich 21 Jahre alt, das ist noch gar nicht lange her. Weder auf dem Friedhof, noch nachher flossen Tränen. Ich saß nach der Beerdigung mit meinem Vater, der verstorbene Großvater war sein Vater, am Küchentisch. Wir beide sprachen kein Wort. Mein Vater starrte die Wand an. So ging das eine Weile, dann sagte mein Vater: „So ist das, Menschen sterben“, damit war die Beerdigung zu Ende, wir beide standen auf und gingen jeder seinen Weg“.