Gespräch über eine modellierte Skulptur in der Suchtarbeit

Skulptur Suchtarbeit

Skulptur Suchtarbeit

Vielen Dank, dass sie mit uns über Ihre Skulptur sprechen wollen.
Ich habe die Figur in der Entwöhnungsbehandlung gemacht. Ich konnte gar nicht aufhören, war wie in Trance. Stunde um Stunde habe ich daran gearbeitet.

Hat die Figur etwas mit Ihnen zu tun? … ich weiß nicht, ich weiß nicht, was sie soll.

Was fällt Ihnen ein, wenn sie die Figur sehen? Schweigen, Abhauen und Streit provozieren – so habe ich immer reagiert, wenn ich über ein Thema nicht reden mochte. Unangenehme Themen waren für mich fast immer Beziehungsthemen. Dann habe ich meine Stacheln ausgefahren, habe nichts an mich rangelassen. Als Verteidigung, wenn ich nicht die richtigen Worte finde. Ich schalte dann auf Abwehr und auf Flucht. – und dann kam das Saufen dabei.

Fällt Ihnen eine entsprechende Situation ein? Ja, eine ganz böse Situation. Da war meine Freundin hochschwanger. Wir waren auf einem Metallica-Konzert in Berlin. Abends habe ich bereits viel Bier getrunken, morgens direkt weitergemacht. Meine Freundin war genervt, es gab Zoff. Ich habe nicht mit mir reden lassen, habe dann das Ticket gebucht und bin allein zurückgefahren. Ab da war die Beziehung zu Ende, es gab die Trennung.

Wissen Sie noch, wie Sie sich gefühlt haben, als ihre Freundin Sie auf ihren Alkoholkonsum ansprach? Ich war wütend und sauer. Auf was? Auf mich, weil ich nicht in der Lage war, vernünftig über mich reden zu können, über meinen Alkoholkonsum, … stattdessen bin ich laut geworden und abgehauen.

Haben Sie eine Idee, warum es Ihnen so schwerfällt, mit Ihrer Freundin darüber zu sprechen? ….. es fällt mir schwer zu sagen, Du hast recht. Ich fühle dann meine Schwäche, fühle mich so klein.

Kennen Sie das Gefühl der Stärke? Ich weiß, dass ich was kann, aber ich fühle das nicht, ich kann das für mich nicht wirklich realisieren. Ich glaube in der Klinik nennt man sowas rationalisieren, mein Bauch sagt nichts, auch dann nicht, wenn ich wirklich was hinbekommen habe.

Haben Sie mal körperliche Gewalt gegen Dritte ausgeübt? Ja, vor zehn Jahren, da waren wir auf der Kirmes. Standen am Bierwagen, da hat mich einer provoziert, ich habe ihm gesagt, dass wenn er das nochmal macht, er es mit mir zu tun bekommt, dann hat er meine Freundin provoziert. Ich habe ihn mir geschnappt, habe ihn zu Boden gedrückt, den Hals zugedrückt, ich hatte absolute Macht über ihn, habe ihm ins Ohr geflüstert: Beim nächsten Mal bringe ich dich um, ich meinte es so. Er war nachher mit einem gequetschten Kehlkopf im Krankenhaus. Unmittelbar nach der Aktion hatte ich panische Angst, habe mich unglaublich geschämt, ich war erschrocken, zu was ich fähig bin, wenn ich einen Wutausbruch bekomme. Ich glaube, seitdem lasse ich keinen mehr an mich heran.

Können Sie sich noch erinnern, wann sie erstmalig ausgerastet sind? Da war ich 10 bis 12 Jahre, ich war damals ein Super Choleriker, hatte immer wieder cholerische Anfälle, das ging bis ich ungefähr 30 Jahre wurde. Dann habe ich meine Stacheln bekommen – aber auch meine Depression. Alles war jetzt abgeflacht, mit der Depression bin ich jetzt seit 10 bis 12 Jahre beschäftigt. Es gab Zeiten, da war es mal besser oder auch andere, da war es mal schlechter. Aber seit 12 Jahren spüre ich nichts mehr.

Haben Sie eine Idee, wann Sie als Kind cholerisch wurden? Immer dann, wenn ich meinen Erwartungen nicht entsprach, insbesondere dann, wenn ich im Spiel verloren habe. Verlieren konnte ich gar nicht. Einmal habe ich eine Tischtennisplatte zerstört, weil ich verloren hatte. Alles in meinem Leben ist Wettkampf, ich war immer ehrgeizig, jetzt ist mir alles egal. Zu Hause gab es viel Leistungsdruck, alles wurde über Leistung definiert. Nicht nur die Arbeit, auch das Wurfscheibenschießen oder Badminton. Besonders ehrgeizig waren wir ich im Paintball. Wir haben europaweit und bei den deutschen Amateurmeisterschaften gespielt. Hatten eine illegale Spielhalle angemietet, bis dass die Polizei sie geschlossen hat. Die europaweiten Turniere wurden mir dann aber auch irgendwann zu viel.

Was passierte zu Hause, wenn sie gute Ergebnisse brachten? – nichts. Für die Meisterprüfung gab es einen Handschlag.

Und bei schlechten Ergebnissen? Da gab es Prügel, mit dem Kleiderbügel und den Nieten. Dazu Hausarrest und Extraarbeiten. Immer vom Vater, Mutter hatte zu Anfang noch meine Schreie gehört, nachher habe ich nicht mehr geschrien. Mutter hat mich nie auf die Prügel und meine Schmerzen angesprochen. Nachher wäre es mir auch egal gewesen. Ich habe nichts mehr gespürt.
Ab 16 habe ich dann eh gemacht, was ich wollte. Hatte mein eigenes Reich, die anderen konnten mir keine Vorschriften mehr machen.

Wenn Sie könnten, würden Sie den einen oder anderen Stachel rausziehen? Noch nicht, ich versuche noch wenig an mich rankommen zu lassen. Ich habe auch Angst, keine Verteidigung mehr zu haben, wäre dann offen und verletzlich. Das Schlimmste ist, dass ich mich mit Worten nicht wehren kann, ich spüre meine Aggressionen, kann dann aber nicht reagieren.

Was müsste passieren, damit sie sich trauen, einen Stachel rauszunehmen? Ich müsste viel gefestigter sein, selbstsicherer, von mir überzeugter.

Wenn Sie sich vorstellen, dass Sie im Laufe der Zeit alle Stacheln rausziehen, dann bliebe eine Kugel über. Was fühlen Sie bei dem Gedanken? Das möchte ich nicht – ich habe doch Ecken und Kanten. Und ich möchte mich wehren können. So zwei Stacheln sollten schon bleiben. Und ich finde eine Kugel langweilig.