Spielsucht: Frauen haben alles verzockt

BBV, Barbara-Ellen Jeschke vom 03.04.2024
Wir danken dem BBV und dem Fotografen Sven Betz, dass wir den Bericht und Foto hier übernehmen dürfen.

Zwei Frauen haben mit dem BBV offen über ihren Weg in die Sucht und wieder heraus gesprochen.
Die Spielcasinos in Bocholt seien voll von Frauen oder Paaren, die gemeinsam ihr Geld verspielen, berichten sie.

Bocholt Schon als kleines Kind hat Petra (Name von der Redaktion geändert) gern an den Automaten in der Kneipe ihrer Eltern gespielt. Mit Freunden besucht sie im Erwachsenenalter dann zum ersten Mal ein Spielcasino. Immer wieder füttert sie den Automaten mit fünf oder zehn Euro. Dann entdeckt sie auch das Online-Spielcasino für sich. Irgendwann dreht sich im Leben der 48-Jährigen alles um das Glücksspiel.
„Es hat mir einen Adrenalin-Schub gegeben. Ich konnte in eine völlig andere Welt abtauchen“, berichtet die Bocholterin. Mit dem Spielen verdrängt sie alle Gefühle, die sie nicht fühlen will. „Ich habe einmal 4.600 Euro gewonnen, da dachte ich, das könnte häufiger passieren.“
So erging es auch Carolin (Name geändert). „Ich dachte, mir steht das Geld einfach zu.

Spielsucht bei Frauen – Die Dunkelziffer ist hoch. Foto: Sven Betz

Spielsucht bei Frauen – Die Dunkelziffer ist hoch. Foto: Sven Betz

Wenn alles im Leben schief läuft, muss das doch wenigstens klappen.“ Petra und Carolin sind zwei der wenigen Frauen in Bocholt, die mithilfe der Suchtberatung des Sozialdiensts Katholischer Männer (SKM) den Weg aus der Sucht gefunden haben. Doch sie sind sich einig: Die Dunkelziffer spielsüchtiger Frauen ist hoch. In Bocholter Spielhallen haben sie ständig andere Frauen getroffen.
So unterschiedlich beide Frauen sind, so viel vereint sie zugleich. Beide wuchsen mit einem alkoholabhängigen Vater auf. Beide haben in ihrem Leben viele Menschen verloren. Der Stiefvater von Petra hat sie psychisch und physisch gedemütigt. Wenn sie nicht gehorchte, musste sie über Stunden nackt in der Ecke stehen. Carolins Mutter litt unter Depressionen und Magersucht.
Über die vielen Verluste in ihrem Leben sagt Carolin: „Ich habe mich für einen Todesengel gehalten.“ Als dann der Vater ihrer besten Freundin stirbt, zieht sie mit ihr los in die Spielhallen. Hier kann sie alles vergessen. Die 37-Jährige verkauft alles, erscheint nicht mehr am Ausbildungsplatz und in der Berufsschule, damit sie spielen kann. Auch Petra nimmt sich extra Urlaub, um heimlich in die Spielhalle zu fahren, tut, als ob sie zur Arbeit geht, nur damit ihre Partnerin nichts ahnt. Besonders schlimm wird ihre Sucht nach dem Tod ihrer Mutter.
Das Spielen lenkt sie ab. „Es hat mir Freude und Glücksgefühle gegeben“, sagen beide. Und Petra schiebt hinter her, wie sie es im Nachhinein betrachtet: „Du sitzt da in einer dunklen Kaschemme und hast nur den Automaten vor dir.“ Beide setzen sich im Kopf finanzielle Limits, die sie niemals einhalten. „Du betrügst dich selbst“, sagt Carolin. Schulden und ein Lügen-Kartenhaus bauen sich auf. Carolin bestiehlt sogar ihren Freund. Petra steht letztendlich mit 50.000 Euro im Minus.
Mit einem Kredit versucht sie den nächsten zu tilgen. Dann öffnet ihre Partnerin einen Brief von der Bank. Das Kartenhaus bricht zusammen. Ihre Freundin wirft sie raus. „Ich hatte das, was mir im Leben am wichtigsten ist, verloren“, sagt Petra über ihre Entscheidung, sich Hilfe zu suchen. Und auch Carolin bricht unter den Lügen zusammen: „Ich bin ein Mensch, der jedem ehrlich seine Meinung sagt, und ich habe nur noch gelogen. Ich war ein Mensch, der ich nicht mehr sein wollte.“
Beide Frauen greifen zum Telefon und wählen die Nummer der Glücksspiel-Sucht-Beratung des SKM. „Ich habe gemerkt, ich bin nur noch traurig. Meine Gedanken drehen sich nur noch ums Spielen. Doch es dauert lange, bis man sich das eingesteht“, sagt Carolin. Sie braucht einige Therapie-Anläufe. Bei Petra geht es schneller.
Doch jetzt stehen beide wieder voll im Leben. Carolin ist in führender Position im Gesundheitswesen. Petra hat ihren Job in der Logistik halten können. Sie haben in der Therapie einen neuen Umgang mit ihren Gefühlen gelernt, einen anderen Umgang zu Geld und Selbstfürsorge, zahlen ihre Schulden schrittweise ab.
„Wenn ich heute Werbung für Glücksspiel sehe, denke ich immer: ‚Die Bank gewinnt immer‘. Und die Menschen, die spielen, tun mir leid“, sagt Carolin. Gemeinsam mit Petra möchte sie anderen Frauen einen Weg aus der Spiel-Hölle aufzeigen. Wer sich in ihrer Geschichte wiederfindet, dem raten sie: „Sei ehrlich und such dir Hilfe.“
Der SKM – Katholischer Verein für soziale Dienste in Bocholt bietet Beratung zur Glücksspielsucht. Ansprechpartnerin sind Christiane Wiesner und Michaela Schäfer. Sie sind erreichbar per E-Mail: skm.bocholt@t-online.de oder unter 02871 8891.